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Die "Wizard-of-Oz"-Methode - ein Verfahren, um die Interaktion der Benutzer mit den neuen Postschließfächern testen

Ein Artikel von Alexander Gyger, UX Designer bei ELCA

Benutzertests sind ein Standardverfahren im User Experience (UX) Design. Sie gelten als wesentlicher Bestandteil des UX-Designprozesses und werden häufig eingesetzt, um die Benutzerfreundlichkeit, die Effektivität und die allgemeine Benutzererfahrung eines Produkts oder Systems zu bewerten. Aber was ist, wenn Sie einen Einblick in die Interaktionen eines Benutzers gewinnen möchten, der sein mobiles Gerät benutzt, um ein physisches Objekt handzuhaben?

Die Entwicklung eines vollständig funktionsfähigen Prototyps kann zeit- und ressourcenaufwändig sein. Die Verwendung der Wizard-of-Oz-Methode könnte dieses Problem lösen. Sie bietet eine kostengünstige Alternative, die es Designern ermöglicht, das Systemverhalten und die Interaktionen ohne aufwändige Entwicklungsarbeit zu simulieren. In diesem Artikel befassen wir uns mit dieser Methode, wie wir sie im Fall der Schweizerischen Post angewendet haben und was wir daraus gelernt haben.

Projekt-Hintergrund

Im letzten Jahrzehnt erlebte der E-Commerce einen enormen Aufschwung, und das Online-Shopping wurde für viele Menschen zur Normalität. Unternehmen wie Amazon, Alibaba und andere haben ihre Reichweite erweitert und bieten verschiedene Produkte und Dienstleistungen an. Dieser Wandel hatte weitreichende Auswirkungen auf die Logistik, da Unternehmen wie die Post mit großen Mengen an Paketen umgehen müssen. Bei der Zustellung dieser Pakete sind die Zusteller jedoch oft mit dem Problem konfrontiert, dass die Empfänger nicht zu Hause sind. Dies bedeutet, dass die Empfänger das Paket in der Postfiliale abholen müssen. Zudem können die Öffnungszeiten der Poststellen bei unflexiblen Arbeitszeiten des Empfängers hinderlich sein. Die automatischen Sendungsschließfächer der Schweizerischen Post wurden entwickelt, um dieses Problem der unzustellbaren Pakete zu lösen und den Empfängern mehr Flexibilität zu bieten. Die Idee dahinter ist, dass die Kunden ihre Pakete innerhalb eines vordefinierten Zeitrahmens abholen oder in einem der Sendungsschließfächer ablegen können. Diese Schließfächer wurden von den Kunden aufgrund ihrer Bequemlichkeit gut angenommen. Daher hat die Post geplant, weitere solche Schließfächer zu installieren. Diese neuen Schließfächer unterschieden sich jedoch in einem Punkt von den ursprünglichen Schließfächern. Sie sollen nicht mehr über einen Touchscreen verfügen. Stattdessen werden sie durch eine App auf den mobilen Geräten der Kunden und Postzusteller bedient. In dem Projekt wurden diese neuen Schließfächer getestet, um die Benutzerfreundlichkeit der neuen Lösung zu gewährleisten.

Bewertungsplan

Um eine strukturierte Prüfung zu gewährleisten, wurde zunächst ein Auswertungsplan entwickelt und drei Forschungsfragen aufgestellt:

 

  • Würden die Kunden die Interaktion mit dem Schließfach über ihre eigenen Mobilgeräte akzeptieren?
  • Wären die Kunden in der Lage, das Schließfach über die Webanwendung zu bedienen?
  • Würden die Kunden die Kommunikation zwischen der Webanwendung und den Schließfächern verstehen?

 

Um diese Fragen zu beantworten, wurde die Durchführung von Usability-Tests und die Anwendung der Wizard-of-Oz-Methode vorgeschlagen. Bei dieser Methode gibt ein Moderator vor, ein automatisiertes System zu sein. Der Benutzer interagiert mit dem Moderator, als ob er mit dem vorgesehenen System interagieren würde. Dies ermöglicht dem Tester, zu beobachten und zu lernen. Der Vorteil ist, dass man frühzeitig herausfindet, ob etwas funktioniert oder nicht. Darüber hinaus werden alle Bedenken bezüglich der Benutzeranforderungen, wie z. B. Benutzerbedürfnisse und Beschwerden, lange vor der Implementierung berücksichtigt.

Modellierung und Prototyping

Die entsprechenden Anwendungsfälle waren dank der anderen Schließfächer, die über ein Touch-Display verfügten, bereits bekannt. Diese Anwendungsfälle mussten nur noch für die Web-App auf dem Gerät der Kunden angepasst werden. Der Hauptanwendungsfall war die Abgabe und Aufgabe eines Pakets durch den Kunden:

 

  1. Der Kunde bringt das Paket zum Schließfach
  2. Der Kunde scannt den QR-Code am Automaten mit der Handykamera
  3. Die Landing Page öffnet sich auf dem Mobiltelefon
  4. Der Kunde scannt mit dem Mobiltelefon die Sendungsverfolgungsnummer des Pakets
  5. Der Kunde gibt die gewünschte Fachgröße des Pakets an
  6. Der Kunde bestätigt mit einem Klick auf die Schaltfläche "Fach öffnen".
  7. Ein freies Schließfach öffnet sich
  8. Der Kunde legt das Paket in das Fach und schließt die Tür
  9. Die Anwendung fragt, ob der Nutzer eine Quittung wünscht
  10. Die Anwendung zeigt die Fertigstellungsmeldung an und bittet um eine Bewertung

 

Darauf aufbauend wurde ein klickbarer Prototyp in Axure erstellt, der durch ein benutzerdefiniertes JavaScript unterstützt wird, um die Live-Kamera des Telefons anzuzeigen und die Scan-Interaktionen zu simulieren. Außerdem wurden Sonderfälle erstellt, die vom Standardfall abweichen, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Ein Beispiel wäre, wenn ein Teil des Systems nicht wie vorgesehen genutzt würde, z. B. wenn ein technischer Fehler vorliegt, wenn jemand mehrere Pakete abgeben möchte oder wenn das Schließfach absichtlich missbraucht wird.

Testaufbau

Da zwei UX-Designer an dem Projekt arbeiteten, wurden die Rollen wie folgt verteilt: Einer moderierte die Tests, und der andere bediente die Simulationen, nahm die technische Einrichtung vor und führte die Beobachtung durch. Für den Test wurde vom Kunden ein Demo-Schließfach mit einer dazugehörigen App zur Verfügung gestellt, mit bestimmte Schließfachtüren geöffnet werden konnten. Außerdem wurde ein Testtelefon benutzt, ein Laptop für den Betreiber, eine App zum Öffnen der Schließfächer, Pakete und eine gedruckte Einführung mit einem QR-Code. Diesen wurden wie in einer realen Situation auf das Demo-Schließfach geklebt.

Beispiel für zwei Schritte während des Tests für die Interaktion des Benutzers mit dem simulierten Prototyp und dem Demo-Schließfach

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Tests mit Benutzern

Es wurden sechs Teilnehmer von einer Test-Website rekrutiert, da die Anforderungen sehr breit gefächert waren. Um die Tests durchzuführen und die Anwendung realitätsnah zu gestalten, musste das Testtelefon über das Open-Source-Mirroring-Tool "scrcpy" von @Genymotion auf den Laptop gespiegelt werden, um die verborgenen Interaktionen des Prototyps anzuklicken und Systemmeldungen anzuzeigen. Es wurde ein fester Ablauf entwickelt, z.B. das Öffnen der Schließfächer zum richtigen Zeitpunkt. Um die Ausführung zu perfektionieren, wurde der gesamte Test in einer Trockenübung geprobt. Nach einigen Wiederholungen und Anpassungen war alles sicher und bereit. Während der Tests funktionierte die Ausführung recht gut. Die Versuchsteilnehmer glaubten wirklich an die Interaktion mit der Anwendung. Es gab ein paar schwierige Momente, als die Testpersonen sich anders verhielten, als erwartet wurde. Mein Kollege und ich beschlossen jedoch, mitzuspielen und das Feedback des Systems umzusetzen. So zu tun, als wäre man das System, hat sehr gut funktioniert und weitere Erkenntnisse gebracht.

Die Erkenntnisse aus der Anwendung der Wizard-of-Oz-Methode

Durch die Anwendung der Wizard-of-Oz-Methode wurden wertvolle Erkenntnisse über das Nutzerverhalten bei der Bedienung der mobilen Anwendung zur Verwaltung von Paketschließfächern gewonnen. Hier die Erkenntnisse:

 

  • Das Timing ist entscheidend: Um ein überzeugendes Erlebnis zu schaffen, braucht man ein Skript und sorgfältig geplante Abläufe.
  • Bei der Durchführung der Tests muss man genau sein. Üben Sie daher den Ablauf, um einen reibungslosen Test zu gewährleisten.
  • Testpersonen reagieren manchmal unerwartet. Versuchen Sie, mitzuspielen, denn Sie können von solchen unerwarteten Situationen sehr profitieren, indem Sie eine neue Perspektive erhalten.
  • Die Bedienung von Simulationen während der Prüfung erfordert hohe Konzentration. Denken Sie daran, wenn die gleiche Person auch beobachten und Notizen machen muss. Ziehen Sie im Zweifelsfall eine weitere Person hinzu.
  • Der Austausch der gewonnenen Erkenntnisse mit dem Projektteam hilft allen, besser zu verstehen, wie die Benutzer mit dem Endprodukt interagieren könnten.

Schlussfolgerung

Getestet werden sollten die Paketfächer der Schweizerischen Post, die über das eigene Mobiltelefon bedienbar sind. Das Ziel dabei war es wertvolle Erkenntnisse über das Verhalten der Testnutzer im Umgang mit der Anwendung und ihrer Akzeptanz der neuen Funktionsweise zu gewinnen. Deshalb wurde die Wizard-of-Oz-Methode gewählt. Dank dieser Methode konnten praktische Erkenntnisse über das Verhalten der Benutzer im Umgang mit der Anwendung und den Paketfächern gewonnen werden. Insbesondere wurde festgestellt, dass die meisten der Testnutzer bereit waren, den mobilen Browser auf ihren eigenen Geräten zu verwenden, um mit einem Paketfach zu interagieren. Die Nutzer hatten wenig bis gar keine Probleme, mit der simulierten Lösung zu interagieren. Es wurde jedoch festgestellt, dass einige der angezeigten Meldungen des Systems und der Zeitpunkt, zu dem sie erscheinen sollten, überarbeitet werden mussten. Schließlich konnten neue Erkenntnisse über die Anwendung gewonnen werden, indem improvisiert wurde, wenn die Benutzer anders als erwartet reagierten. Angesichts dieser positiven Erfahrungen mit der Wizard-of-Oz-Methode kann es nur weiterempfohlen werden, diese in Betracht zu ziehen, um ein digitales oder nicht-digitales System zu testen.

Alexander Gyger

Senior UX Designer

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